Seit einigen Jahren dreht sich mein Berufsleben – zumindest in Teilen – ums Unterwegssein. Als Journalistin und Autorin darf ich Orte entdecken, mit Menschen sprechen, Dinge erleben und Geschichten erzählen. Was dabei besonders ist? Der Radius wächst.
Früher Morgen am Busbahnhof Busaras in der Innenstadt von Dublin. Es ist unser erster gemeinsamer Besuch in der irischen Hauptstadt, mein erster überhaupt – erst am Vortag hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben durchs Fenster eines A320 die Wolken von oben gesehen. Die Welt ist gewachsen und sie wächst weiter. Vor der Fahrt nach Galway an die Atlantikküste noch schnell ein Kaffee zum Wachwerden, ein Sandwich gegen das nervöse Magengrummeln, als plötzlich diese kleine Irin vor uns steht. „Do you mind watching my suitcase for just a minute?“
Es macht uns nichts aus. Bis der Expressbus Richtung Westküste aufbricht, dauert es noch locker eine halbe Stunde. Ein weiterer Schluck Kaffee, Pläne schmieden, auch für die Tage, die wir am Ende der Reise noch in der irischen Hauptstadt verbringen werden. Kurze Zeit später kommt die alte Dame wieder auf uns zu, dankbares Lächeln. „Thanks alot, dears. You know… there’s my millions in there…“ Sie zwinkert, will wissen ob wir denn weit zu fahren hätten. Nur ein paar Stunden, sagen wir, nach Galway. Na das wäre ja wohl weit genug, bemerkt sie und setzt zur Verabschiedung an. Dann sagt sie die Worte, die letztlich dafür sorgen, dass von den Folgen einer Angststörung auf dem Rest des Trips, der mich schon Wochen vorher Kraft und alle Überwindung gekostet hat, nichts mehr zu spüren sein wird. Und auch dafür, dass Irland und seine Menschen für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden: „And you enjoy every minute of it.“ Auf diesem Trip werde ich lernen, dass nichts, aber auch gar nichts im Leben selbstverständlich ist.
kofferstiftpapier – Geschichten vom Reisen
Es sind Geschichten wie diese, für die ich – vor schier unglaublichen 15 Jahren – Journalistin geworden bin. Geschichten, die vielleicht niemand hören muss, aber mancher hören sollte, um ins Nachdenken zu kommen, sich selbst zu hinterfragen. Geschichten, die in Nachrichten nichts zu suchen haben und sich manchmal in Reisereportagen nur schwierig ohne Weiteres verpacken lassen. Geschichten, für die es nun diesen Blog gibt.
Ein paar Worte zu mir: Ich bin Sandra, Freiberuflerin, mit Basis in Frankfurt am Main, und eigentlich am liebsten unterwegs. Seit einigen Jahren habe ich das Glück, Reisebücher schreiben zu dürfen, seit etwas weniger Jahren das noch größere Glück, dass mich die Pandemie nicht daran hindert. Und für die Geschichten, die es erstmal nicht in Bücher oder Zeitungen schaffen, baue ich mir nun eben meine eigene Plattform.
Ein Frühlingstag in Wien, der erste Besuch meines Partners in meiner bisherigen Lieblingsstadt. Er ist Filmfreak und hat gerade ein kostenloses Heftchen mit Kulturtipps in die Hände bekommen. Die Liste an Dingen, die wir mit den verbleibenden Tagen anfangen könnten, die wir über meinen Geburtstag in der Stadt verbringen, ist soeben schlagartig länger geworden. Aber was soll’s, klassisches Sightseeing in Wien war noch nie meine Stärke.
Überraschungsfund in Wien: Ein ungewöhnliches Museum
Die gute Nachricht: Das Museum, das es neu auf unsere To-Do-Liste geschafft hat, liegt keine 500 Meter vom Naschmarkt entfernt. Es geht um den Film „The Third Man“, in meiner Annäherung an Filme, die über die pastellfarbenen Oberflächlichkeiten der Popkultur der 90er hinausgehen, sind wir nach wenigen Monaten Beziehung irgendwo zwischen Fritz Lang, Buster Keaton und Alfred Hitchcock angekommen, „Citizen Kane“ liegt zu diesem Zeitpunkt noch ein ganzes Stück down the road. Ich lerne „Der dritte Mann“ ist streng genommen ein Wiener Film, die ikonische Zithermusik wird mich nach diesem Tag noch einige Zeit als Ohrwurm begleiten.
Und auch wenn ein Erlebnis als solches keine Musik ist, die sich als Ohrwurm im Kopf festsetzt, so ist mir auch der Museumsbesuch über die Jahre gut im Gedächtnis geblieben. Wir kommen ins Gespräch mit der Dame am Eingang, die sich als Ehefrau des Gründers herausstellt. Sie erzählt uns, dass alles mit Filmplakaten begann, die ihr Mann in die Hände bekam. Dann legte er los damit, alles zusammenzusammeln, was mit dem Film oder der Zeit seiner Entstehung in Verbindung stand.
Das „Third Man Museum“ wurde für mich zuallererst ein Museum über das Nachkriegswien, das mich faszinierte, und erst danach eins über einen Film, den ich bis dato nicht kannte. Dass der Gründer selbst vor Ort war, uns unsere Fragen beantwortete und so meine ohnehin große Liebe zu Wien mit einer weiteren Geschichte aus Herzblut und Einfach-Machen anreicherte, führte dazu, dass ich mir schwor, die Geschichte aufzuschreiben. Der Umstand, dass wir am Tag nach dem Museumsbesuch, fünf Minuten vor Filmbeginn zufällig vorm Burgkino in der Innenstadt standen, wo „The Third Man“ im Original zu sehen war und wir es gerade noch in die Vorstellung schafften, war vielleicht ein Grund, dass ich es vor lauter Aufregung vergaß.
Das Reisen an sich war in meinem bisherigen Leben nicht immer selbstverständlich. Angststörungen und Reisen vertragen sich nicht besonders. Wie man beide zusammenbringen kann, darum soll es an dieser Stelle vielleicht noch das ein oder andere Mal gehen. Was ich seitdem auf jeden Fall mehrfach festgestellt habe, ist der Umstand, dass Meilensteine helfen. Und dass Neugier eine gigantische Rolle spielt.
Reisen und Grenzen: Neue Welten entdecken
Das hatte ich bereits im Alltag festgestellt, als ich nach dem Studium den vermeintlich sicheren Radius meines bisherigen Lebens erweitert hatte und erst in Regensburg, dann in Frankfurt ernsthaft damit begann, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, was mich vom Rest eigentlich abhält. Das Lokal in Lokaljournalismus war Rettungsanker und Türöffner zu gleichen Teilen und gab mir damals die Möglichkeit, klein anzufangen, und vor allem neu – das war das Wichtigste.
Lokaljournalismus also, die Stadt im Kleinen. Und überhaupt endlich Stadt. Als mich nach einigen Jahren die Anfrage erreicht, ob ich mir vorstellen könnte, an einem Stadtführer für Einheimische mitzuarbeiten, helfen die offenen Hintertüren, durch die ich Frankfurt als Journalistin bislang kennenlernen durfte massiv weiter. Vom staunenden ersten Besuch der Buchmesse zum ersten Buch. Kann mich bitte mal jemand kneifen?
Donnerstagabend in einem Hotel in München. Eins der besseren Sorte, nicht Low-Budget am Stadtrand. Nach einigen Wochen eher mildem Winter fällt seit einigen Tagen draußen der erste Schnee. Während ich hier oben im Hotelzimmer darüber nachdenke, welchen Wert dieser Luxus hat, einen beruflichen Fuß in der Reisewelt zu haben und an Reiseführern arbeiten zu dürfen, nimmt mein Partner, der mich mit auf Geschäftsreise mitnehmen durfte, im Erdgeschoss an einem Pressedinner teil. Das Zimmer hat neben dem Bett, auf dem ich Computer, Bücher und Manuskripte ausgebreitet habe, im wörtlichen Sinn eine Minibar, eine kleine Bar mit Theke und Barhockern, und weil die Heizung verrücktspielt, ist mehr an Caipirinha zu denken als ans Arbeiten.
Freie Reisejournalistin – Ein langer Weg zum eigenen Blog
Es ist eine der Zeiten meines Berufslebens, in denen ich meinen Traumberuf nur in Teilzeit machen darf, machen kann, nachdem ein Investor das wenig ansehnliche Nachkriegswohnhaus mitsamt meiner ersten Frankfurter Wohnung aufgekauft und luxussaniert und so manche ungeduldige Mieterin damit zum Auszug gedrängt hat, also auch mich. Den Vorgänger des Buches, des ich gerade überarbeite, hatte ich auf der Flucht vor Bauarbeitern auf meinem Balkon in der Stadtbücherei geschrieben. 29 Grad im Hotelzimmer während draußen Schneeflocken in die Isar rieseln, stören da auch nicht mehr. An diesem Abend wird in der Frage über den Wert von Luxus dieser Reiseblog geboren, und der Plan schnellstmöglich wieder vollzeit und frei als Journalistin zu arbeiten.
Sommer 2020: Statt mir wie in den vergangenen Jahren zu wünschen, auch mal Bücher zu spannenderen Orten als immer nur Deutschland zu bearbeiten, komme ich als Autorin dankenswert gut durch die Pandemie. Für Marco Polo kommt ein neues Rhein-Main-Projekt ins Haus geflattert. Um trotzdem mit voller Energie trotz Einschränkungen an einer Dumont-Reisereihe arbeiten zu können, bin ich kurzentschlossen zurück in die Selbstständigkeit. Ich weiß, dass es sich bald auch wie ein Fehler anfühlen kann, aber gerade ist die Zeit für Kurzschlussentscheidungen – soviel steht fest.
Schreiben war für mich etliche Jahre eine Form von Therapie – das ist es noch heute. Doch als ein großer Teil des beruflichen Lebens setzt es einen natürlich auch immer wieder unter Druck. Wenn Deadlines nahen und Texte schnell fertig werden müssen, wenn Ideen sich anhäufen, oder wenn man auf die therapeutische Wirkung des Schreibens eben mal wieder so richtig angewiesen wäre. Darunter hat auch dieses Blogprojekt die längste Zeit gelitten. Aber auch hierfür kommt eben irgendwann die richtige Zeit um die Ecke. Und die beginnt jetzt.
Ein ungewöhnlicher Abend: Geschichten hinter dem Reiseblog
PRESSEREISE Es ist ein herrlicher Spätsommerabend, nördlich von Lissabon. Der Ort, in dem sich das Weingut befindet, das mehr Eventlocation als Restaurant ist und so irgendwie in keine Geschichte recht passen will, gehört zur Region Centro de Portugal aber zum Weinbaugebiet Lisboa. Die letzte Nacht war kurz, die vergangenen Tage auf einer Weinkonferenz intensiv und lehrreich. Es geht auf 10 Uhr abends zu als die dritte Weinprobe des Tages startet. Geschichten wie diese kommen weder in Reiseführern noch in klassischen Reportagen über Pressereisen vor und wollen doch erzählt werden.
Die Juniorchefin des Weinguts ist kaum älter als ich. Ihre jüngste Tochter, die die internationale Journalistinnengruppe um einiges spannender findet, als den Gedanken ins Bett zu gehen, im Alter der Kinder meiner Freundinnen. Die Uroma der Kleinen sitzt im Haus nebenan. Sie wird ein paar Wochen später 103. Was diesen Abend auf Pressereise so besonders macht, ist sein Rahmen – die Tatsache, dass man sich mehr als Gast der Familie fühlt statt als Journalistin im Restaurant. Auf dem Speiseplan fürs Abendessen stehen Familienrezepte, die man eben macht, wenn Freunde zu Besuch kommen. Der Einblick in die relativ große Weinproduktion geht entsprechend tief, weit über die meisten Pressegespräche hinaus, und erinnert mich fast ein wenig an meine Zeit als Lokalreporterin. Der einzige Unterschied: Der Radius des Lokalen ist größer geworden. Viel größer.
In diesem Blog soll es um meine Erlebnisse als Reisejournalistin gehen, um Destinationen und Tipps, die mal geheim sind, mal auf der Hand liegen. Um die Frage, wie man Reisen auch lernen kann, und darum wie man Abenteuer auch mal vor der Haustür findet, wenn die Zeiten es erfordern. Um private Trips und die Weitergabe unserer Erfahrungen mit kleinem Budget zu reisen, und etliche Geschichten, die nach Presse- und Recherchereisen eben keinen Platz in Reportagen finden – und trotzdem nicht in Vergessenheit geraten sollen.
Viel Spaß beim Lesen.